Hilde Kann

 

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Hilde Kann bei einem Klassenausflug im Bergwerkswald










Den Namen Hilde Kann kennt jeder an der Ricarda-Huch-Schule, denn er wird auf einer Erinnerungstafel im Foyer stellvertretend für alle jüdischen Schülerinnen genannt, die aufgrund der nationalsozialistischen Rassenpolitik die damalige Oberschule für Mädchen verlassen mussten

 

Hilde Kann wurde am 21. März 1923 in Gießen geboren. Sie wohnte mit ihren Eltern und der sechs Jahre jüngeren Schwester Else in der Liebigstraße 37. Ihre Eltern Martha, geb. Jacoby, und Dr. Siegfried Kann hatten nach dem 1. Weltkrieg geheiratet. Über Hilde Kanns Vater haben wir einige Informationen, denn er war seit 1909 Latein- und Griechisch- Lehrer am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium. Dort erinnert eine Gedenktafel im Foyer des Hauses A an ihn und in der Festschrift zum 400. Geburtstag der Schule, die 2005 erschien, ist ihm ein Artikel gewidmet. 1914 hatte Dr. Kann sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet und am 1. Weltkrieg teilgenommen, aus dem er mit einer schweren Verwundung, an die eine tiefe Narbe an der Stirn erinnerte, zurückkehrte. Wegen seiner Tapferkeit war ihm das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen worden.

Im April 1933 wurde Dr. Kann aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 unverzüglich aus dem Schuldienst entlassen. Er wurde  vom Studienrat zum Oberlehrer zurückgestuft und war noch einige Jahre an der jüdischen Bezirksschule in Bad Nauheim tätig. Diese Schule wurde nach der Pogromnacht 1938 geschlossen und Dr. Kann wurde mit anderen Juden von der Gießener Stadtverwaltung zu Straßenreinigungsarbeiten eingesetzt, obwohl er gesundheitlich in schlechter Verfassung war.

Hilde Kann musste die Mädchenoberschule, die sie seit dem Schuljahr 1932/33 besucht hatte, aufgrund einer Verordnung des Schulamtes verlassen, die jüdische Kinder vom Besuch staatlicher Schulen ausschloss. In der Klassenliste des Jahres 1938/39 findet sich dazu die Bemerkung „Ausgetreten am 24.9.1938“

Aus den Zeugnislisten von 1935 bis 1937 geht hervor, dass Hilde Kann  als turnwillige, fleißige und ordentliche Schülerin beurteilt wurde. Eine ehemalige Klassenkameradin erinnert sich an sie als „stilles, sehr kluges Mädchen“. „Ich sehe sie, das kluge Mädchen, noch in der ersten Bank sitzen“.

Nachdem Hilde Kann die Schule hatte verlassen müssen, sah diese ehemalige Mitschülerin sie noch einmal auf dem Seltersweg, wo sie die Schaufensterscheiben eines großen Geschäftes putzte.

Wahrscheinlich 1941 musste die Familie Kann in das Ghettohaus in der Landgrafenstraße 8 umziehen.

Anfang September 1942 wurde sie zusammen mit allen anderen Juden, die noch in Gießen lebten, in die Goetheschule gebracht und am 17.9.1942 über Darmstadt in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. In den Akten findet sich dazu der Vermerk:

„am 15.11.1942 weggezogen“ und Hilde Kann ist als Arbeiterin eingetragen, was darauf schließen lässt, dass sie, nachdem sie von der Schule verwiesen worden war, Zwangsarbeit leisten musste.

 

Aus den Unterlagen des Konzentrationslagers Theresienstadt geht hervor, dass Hilde Kann am 27.9.1942 von Darmstadt aus dorthin deportiert wurde, zusammen mit ihren Eltern, wahrscheinlich auch mit ihrer Schwester, die jedoch nicht erwähnt ist.

Auf einer Zimmerliste aus Theresienstadt ist die junge Frau aufgeführt. Mit ihr waren weitere 48 Personen in einem Raum untergebracht, darunter zwei namens Kann, nicht aber ihre Eltern.

Hilde Kanns Vater überlebte Theresienstadt nicht, er starb nach einem halben Jahr am 19.2.1943 wahrscheinlich an Unterernährung und Entkräftung. Ihre Mutter wurde zwei Wochen vor der Tochter am 12.10 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Hilde Kann wurde am 27. oder 28.10.1944 nach Auschwitz transportiert und dort ermordet. Sie war 21 Jahre alt.